Gudrun Kropp, Autorin

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Der seltsame Spiegel
© Gudrun Kropp

In ihrer Stimme lag wieder dieser Mitleid erweckende Ton, den Eleonore an ihrer Mutter so hasste. „Eleonore, du wirst mich doch nicht allein zu Tante Eugenia fahren lassen? Stell dir vor, mir passiert etwas auf dem Weg dorthin? Komm, beeil dich!“ Sie erwartete keine ablehnende Antwort von ihrer Tochter.
Eleonore verspürte eine starke Abscheu gegen alles, was man ihr aufdrängte und wusste nur zu genau, dass ihre Mutter nicht aufgeben würde, sie weiter zu bedrängen. So war es immer.

Sie hatte an diesem Nachmittag schon etwas anderes vor und erwiderte der Mutter, trotz schlechter Aussicht auf Erfolg: „Heute geht es nicht, ich habe mich mit Regina und Josefine verabredet. Wir wollen uns an der alten Mühle treffen.“
Die Gegenreaktion kam wie erwartet, sofort. „Aber was wird denn Tante Eugenia denken, wenn ich dich nicht mitbringe?“ entgegnete die Mutter.
„Tante Eugenia, Tante Eugenia!“ murrte Eleonore leise vor sich hin und zog sich in selbst zurück. Gleichzeitig begann sie sich innerlich zu wehren, in dem gleichzeitigen Wissen, diesen Kampf wieder einmal nicht gewinnen zu können.

Gedanken wirbelten durch ihren Kopf: „Warum musste sie immer ihren Willen durchsetzen? Ich bin doch alt genug, selbst zu entscheiden, wie ich meine Freizeit verbringe.
Ihrer Mutter zugewandt sagte sie: „Mit meinen Freundinnen unternehme ich außerdem sehr selten etwas. Sie werden das nicht verstehen!“
Es nützte alles nichts. Eleonores Mutter ließ sich nicht erweichen und schrie stattdessen ihre Tochter an: „Wenn du nicht mitkommst, gibt es Hausarrest, basta! Du bist und bleibst ein liebloses, widerspenstiges Mädchen!“
So musste sie schweren Herzens das Treffen mit ihren Freundinnen absagen. Der Besuch bei Tante Eugenia verlief wie immer, ohne besondere Vorkommnisse.

Ihre hochsensible Persönlichkeit machte es Eleonore nicht leicht, auf fremde Menschen zuzugehen, geschweige denn Freundschaften zu schließen. Zu allem Überfluss quälten sie immer wieder plötzlich auftretende Ängste, die sie einfach nicht in den Griff bekam und ihr Leben erschwerten. Ihre Freundinnen versuchten ihr die meist unbegründeten Ängste auszureden und lobten sie oft für ihre freundliche und selbstlose Art, mit der sie den Menschen in ihrer Umgebung begegnete.
Manchmal tat sie jedoch zuviel des Guten, nahm sich häufig zurück und überließ anderen das Feld.
In diesen Situationen spürte sie sich dann oft nicht mehr. So, als wäre sie nicht wirklich da, als gäbe es sie gar nicht.
Wenn ein Junge sich über sie lustig machte oder Schlechtes über sie erzählte, wäre es ihr nie in den Sinn gekommen, ihn zur Rede zu stellen.
Es nahm sie kaum jemand ernst. Am allerwenigsten sie sich selbst.

Eleonore lebte seit vielen Jahren allein mit ihrer Mutter in einem Haus am Rande des Dorfes. Ihr Vater hatte die Familie, als sie noch ein Teenager war, verlassen. Eleonore konnte sich kaum an ihn erinnern. Sie wusste auch nicht, wo er sich zurzeit aufhielt. Die Mutter, so erzählte sie ihr, wollte ihn nie mehr wieder sehen und so hatten sich die Eltern inzwischen auseinandergelebt.
Sie hatte außer ihrer Mutter und ihre zwei Freundinnen, niemanden.
Eleonore fehlte der Vater sehr und sie sehnte sich ihn oft herbei. Und wenn wieder einmal der Wunsch ihrem Vater zu begegnen, sehr stark war, erschien er in ihren Träumen und sprach mit ihr:
„Eleonore, du wirst immer meine Tochter bleiben, auch wenn wir uns nicht mehr sehen! Du sollst wissen, dass du in meinen Gedanken immer bei mir bist!“
Sie wollte ihm, wie so oft, antworten, ihm sagen, dass ihr ein nicht anwesender Vater nichts nütze. Aber ihre Stimme ging im lauten Stimmengewirr, eigener, ruheloser Gedanken, unter.

Eines Abends, als Eleonore vor Kummer nicht einschlafen konnte, erschien ihr wieder der Vater im Traum und sie erzählte ihm von ihren Sorgen.
Diese Erscheinung war stets durch ein helles Licht, das ihr ganzes Zimmer durchflutete, begleitet. Zu ihrer Verwunderung hielt er ihr einen Spiegel vor das Gesicht und sagte ruhig und voller Mitgefühl: „Meine Tochter, wen siehst du in diesem Spiegel?“
Eleonore sah hinein und erschrak: „Vater! Ich sehe dich!“
„Sieh noch ein zweites Mal hinein.“ ermunterte sie der Vater. „Wen siehst du nun?“
„Oh, Schreck, ich sehe das Gesicht von Mutter!“
„Was ist denn nur los? Warum sehe ich mich nicht darin? Es ist doch ein ganz normaler Spiegel!“ rief sie erschüttert.
Der Vater gab nicht auf. Versuche es noch einmal, vielleicht kannst du dich nun sehen.“
Eleonore glaubte ihren Augen nicht zu trauen. „Das ist doch Gina und Josefine!“

Entmutigt und mit einem Seufzer legte der Vater den Spiegel zur Seite und schaute seine Tochter mit ernster Miene an. Er entfernte sich einige Schritte von ihr. Eleonore sah ihn plötzlich plötzlich nicht mehr und begann zu weinen.

Sie rief nach ihrem Vater. „Vater, kannst du mir die seltsamen Erscheinungsbilder in diesem Spiegel erklären?“
Augenblicklich stand ihr Vater wieder vor ihr. Sachte legte der Vater die Arme um seine Tochter und sagte: „Sieh her, dieser Spiegel möchte dir etwas mitteilen! Das erste Gesicht, das du gesehen hast, war mein Gesicht. Und ich weiß auch warum. Ich bin mit deiner Mutter zurzeit unseres gemeinsamen Lebens nicht gerade liebevoll umgegangen. Ich habe in unserer Beziehung bestimmt, was sie zu tun und zu lassen hatte. Einfach aus dem Gefühl männlicher Überlegenheit heraus. Eines musst du wissen: Es ist immer leicht, andere zu beherrschen. Dich habe ich als Kind ständig kritisiert, deine Empfindungen nicht ernst genommen. Und vor allem wollte ich, dass du zu mir aufschaust, mich bewunderst. Das tatest du auch. Was dir fehlte, war eine starke, weibliche Figur, mit der du dich hättest identifizieren können.

Eleonore starrte noch immer in den Spiegel.
„Aber, warum sehe ich dich darin?“
„Weil ich in deinem Leben eine entscheidende Rolle gespielt habe.“

„Und die anderen, was ist mit den anderen, deren Gesicht ich sah?“ Mit Mutter ihrem?
„Deine Mutter hat aufgrund dessen, dass ich sie dominiert habe, wiederum versucht, dich zu beherrschen.“
„Aber warum ist sie so gemein zu mir? unterbrach Eleonore ihren Vater.
„Weißt du, ein Mensch handelt immer aus der Angst heraus. Sie hat es nie gelernt, ein eigenes Ich aufzubauen, weil sie Zeit ihres Lebens von anderen Menschen unterdrückt und unmündig gemacht wurde. Vieles liegt auch in der Kindheit begründet und ist nicht verarbeitet worden.
„Und mit dem Gesicht meiner Freundinnen, was ist damit? Sie unterdrücken mich bestimmt nicht!“ versuchte sie für das dritte Gesicht im Spiegel eine Erklärung zu finden.
„Ja, du hast Recht.“ bestätigte der Vater sie.
„Aber du hast dich über sie definiert, indem du dachtest und redetest wie sie. Das geschah nur aus der Angst heraus, sie nicht verlieren zu wollen.
Eleonore versteht und ist plötzlich ganz bei sich selbst. Das Licht der Erscheinung wird allmählich schwächer. Sie sieht auch den Spiegel nicht mehr, den der Vater ihr noch kurz zuvor in die Hand gegeben hatte. Still und friedlich ist es um sie herum, als würden Himmelswesen sanft davon schweben und noch einmal die Stätte, an denen sie sich aufhielten, mit einem sanften Schleier einhüllen.
Als Eleonore sich wieder in der Gegenwart wusste, bemerkte sie, dass ihr Vater nicht mehr anwesend war.

Der Mutter verriet sie zunächst nichts von der außergewöhnlichen Begegnung mit ihrem Vater. Sie würde sich nur zu sehr aufregen, wusste Eleonore.
Sie musste sich endlich dafür entscheiden, selbst leben zu wollen und nicht mehr gelebt zu werden. Schon zu lange hatte sie auf ein eigenes Ich verzichtet. Immer hatte sie sich den Wünschen anderer angepasst.
Der Wunsch, ein ernst zu nehmender Mensch zu werden, setzten in ihr ungeheure Kräfte frei.
Tage, Wochen, Monate vergingen und Eleonore machte Fortschritte. Sie übte neue Denkweisen ein, die sich in einem veränderten Verhalten zeigten. Noch nie zuvor in ihrem Leben erkannte sie, wie wenig sie sich selbst geliebt hatte. Sie lernte sich gegen die Mutter durchzusetzen und an ihre Freundinnen klammerte sie sich auch nicht mehr vor Angst, sie zu verlieren.

Als Eleonore an einem Morgen vor dem großen Badezimmerspiegel stand und plötzlich ausrief: „Mutter, Mutter, das ist unglaublich. Ich sehe mein Gesicht, es ist wahrhaftig mein Gesicht!“ liefen ihr Tränen über die Wangen. Die Mutter stand erschrocken in der Badezimmertür und schüttelte nur verständnislos den Kopf.

Vielleicht würde sie der Mutter ihr Geheimnis eines Tages erklären.

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Die ewige Verlagssuche

Da hatte ich doch nach mehrwöchiger, nein, was sage ich, nach monatelanger, sogar jahre- langer Suche nach einem geeigneten Verlag für mein geistreiches Manuskript „Eine frech- fröhlich- ironische Geschlechteranalyse“ doch endlich einen Verlag gefunden, der mir Hoffnung auf eine Veröffentlichung meines Manuskriptes machte. Da stand es fett gedruckt in meinem dicken Verlagsverzeichnis der Frankfurter Buchmesse: Buchverlag für die Frau.

Das war`s doch, jetzt hatte die Suche ein Ende. Für die Frau einen eigenen Verlag, wo gab es das noch? Hier kann frau einmal ohne die Bevormundung von Männern ihre geistigen Fähigkeiten unter Beweis stellen, kam mir der Gedanke. Schnell und beinahe euphorisch strich ich mit der Hand die Seite glatt und begann die Zeilen, die unter der Rubrik „Frauenthemen“ stand, zu lesen: Kochbuch, Handarbeit, Garten, Kreativbuch, Ratgeber. Was, das sollte alles sein, was Frauen interessiert? Enttäuscht über diverse Angebote zur Veröffentlichung von Frauenmanuskripten schlug ich das Verlagsverzeichnis zu. – Halt..., vielleicht könnte ich etwas im Themenbereich: Ratgeber veröffentlichen. Evtl. einen Ratgeber für Männer schreiben oder mich selbst als Ratgeber zur Verfügung stellen! Das machte die Sache plötzlich wieder interessant, wo doch viele Männer auf Rat gebende Funktionen einer Frau großen Wert legen. Natürlich, nach diesen Frauen suchen Männer händeringend. Nun muss ich mich aber gleich an die Arbeit machen.

Aber mal im Ernst, so spaßig ist nämlich die Suche nach Verlagen gar nicht. Wenn sich nicht bald ein deutscher Verlag für mich interessiert und mich vom Fleck weg heiratet, äh´, unter Vertrag nimmt, ziehe ich andere Seiten auf. Es gibt ja wirklich unzählige, viele Verlage, die nur auf gute Autorinnen wie mich warten. Zum Beispiel ist mir in meinem klugen Verlagsverzeichnis ein Verlag besonders ins Auge gefallen, ist aber noch mal gut gegangen, bin nicht verletzt worden. Der Name des Ortes ist zwar etwas ungewöhnlich für uns Deutsche, er heißt:

„B e i j i n g “ und die Straße: 24 Baiwanzhuang Road

… ist doch ganz einfach, liegt in China. Chinese Literatur Press.

Warum nicht auch mal die Chinesen mit originellen Manuskripten beglücken? Mich würde es jedenfalls nicht stören, wenn in meinem Manuskript bei jedem deutschen Buchstaben „ r “ ein „ l „ stehen würde. Na und? Vielleicht wissen die Chinesen meine weisen, klugen Worte besser zu schätzen, als die deutschen Verlage. Plima gedacht odel ? Immerhin ist es besser in

China zu veröffentlichen und ein Umdenken in der Gesellschaft im besten Falle zu bewirken, als keinen Verlag in Deutschland zu finden. Ist doch so!!!

Ja gut, wenn es nicht in China klappt, dann vielleicht in „Spoleto“ Italy, oder „Moscow“ Russia und in „1230 Avenue of the Americas New York USA, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Ich gebe jedenfalls nicht so schnell auf.

I C H n i c h t !!!

Ach, jetzt hab ich den Grund meiner Schwierigkeiten bei der Verlagssuche gefunden: Weil ich ein M ä ä ä ä ä d c h e n bin, natürlich Frau bin und die Verlagsleiter überwiegend Männer sind. Und Männer entscheiden, was von Frauenmanuskripten veröffentlichungswürdig ist, dass heißt, überhaupt der Menschheit zugemutet werden kann!!?? Inzwischen habe ich des Rätsels Lösung gefunden: Frauenfeindlichkeit.

Immerhin ist etwas „finden“ besser als etwas „suchen“ Zum Beispiel Verlage!

Aber mit Frauen als Verlagsleiterinnen oder Lektorinnen hat man, beziehungsweise frau auch kein leichtes Spiel. Erst machen sie einem Hoffnung auf eine Veröffentlichung und dann heißt es:

„Leider passt ihr Manuskript nicht ins Verlagsprogramm!“ Und ich weiß auch warum, weil es eben einfach in kein Programm passt, das ist ja gerade das Besondere an meinem Manuskript. Wer will schon ins Programm passen, vorhersagbar, berechenbar, schlicht … langweilig sein?

„Ist denn nun endlich ein Verlagsleiter/in bereit, einer leidgeprüften, geduldig ausharrenden Autorin und obendrein noch Mutter von mehreren Kindern, die alle etwas zu essen haben wollen, (...meine armen Kinder, schluchz ...) ein Manuskript zu veröffentlichen? Bitte...???!!!

Mit fleundlichen Glüßen

Gudlun Klopp (Gudrun Kropp)

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© Gudrun Kropp

Die Entscheidung

Kathrin hatte sich kurz entschlossen zu ihrer Friseuse aufgemacht und saß etwas ratlos vor dem großen Spiegel. Wie immer brauchte sie in dem Haarstudio keinen Termin abzumachen.

Sie hatte sich einfach bei der Friseuse ihres Vertrauens gemeldet und wartete nun, bis sie an die Reihe kam.

Kathrin liebte es, sich spontan für einen Friseurbesuch entscheiden zu können. Das Warten nahm sie gern in Kauf und nutzte diese Zeit, um ihre Seele baumeln zu lassen und ganz nebenbei das Treiben in dem Friseurladen zu beobachten. Kathrin sah mit einem Schmunzeln den hereinkommenden und hinausgehenden Kunden zu, die sich individuell beraten lassen wollten und sich stylen ließen. Vom Kind bis zum älteren Erwachsenen, war hier alles vertreten.

Eine Stunde lang saß sie nun schon auf dem ihr zugewiesenen Platz und war unschlüssiger als je zuvor, was sie mit denn nun mit ihren Haaren anstellen sollte. Denn einerseits war ihre, in den letzten Wochen enorm gewachsene Lockenpracht nicht gerade unansehnlich, wie ihr ihr Ehemann immer wieder im Alltag zu verstehen gab, andererseits fand sie sich mit ihrer üppigen Mähne nicht nennenswert jünger aussehend, eher machte sie diese Fülle reifer, um nicht zu sagen, älter.

Das war allein ihre Einschätzung und diese konnte beileibe nicht richtig sein. Ihr fiel es überhaupt in letzter Zeit schwer eine Entscheidung zu treffen, selbst wenn die Sache, um die es ging, banal war. Musste denn alles immer so schwer sein? Warum war das Leben so wie es war? Undurchsichtig, irritierend, schwierig. Oder machte sie nur aus allem ein Problem?

Das Vorhandensein einer gewissen, angeborenen Eitelkeit, was das Äußere anging, konnte Kathrin an ihrer Persönlichkeit nicht leugnen. Wochenlang machte sie sich nun schon Gedanken um ihre Frisur. Eigentlich ziemlich überflüssig, musste Kathrin augenblicklich denken. Es kommt doch immer anders, als man denkt.

Doch nun saß sie wenigstens schon mal auf diesem Friseurstuhl vor dem Spiegel. Gleich würde die Friseuse an ihrer Seite sein und sie fragen, wie sie sich denn Ihre Haarfrisur wünsche.

Würde ihr etwas einfallen, das sich lohnen würde, etwas zu verändern?Kathrin musterte sich von allen Seiten und sah augenblicklich durch den Spiegel die Friseuse lächelnd auf sie zukommen.

„Hallo Frau Jansen! Schön, Sie man wieder mal hier zu sehen!“ begrüßte sie Kathrin als Stammkundin.

„Hatten wir uns nicht schon geduzt?“ gab Kathrin zurück.

„Ach ja, das hatte ich ganz vergessen!“ war die höfliche Antwort.

„Wie hättest Du` s, denn gerne?“

Da war sie, diese obligatorische Frage, die sie mit mulmigem Gefühl zunächst auf sich wirken ließ.

„Wenn ich das nur wüsste, Silke?!“ antwortete Kathrin und atmete tief durch. 

„Du, sag mal, wie findest du denn meine Locken? Und die Strähnen vom letztem Mal, die kommen doch so richtig zur Geltung, oder?“

„Ach ja, ich erinnere mich noch, letztes Mal hattest du ja Strähnen machen lassen. Ich muss zugeben, die kommen bei der Länge wirklich wunderschön zur Geltung!“

Die Friseuse begutachtete Kathrins lockere Haarpracht mit Wohlwollen.

„Hm, was mach ich nur?“

Kathrin sah Silke mit hilfloser Miene an.

„So wie sie sind, will ich sie auch nicht lassen, denn dann hätte ich ja nicht vorbei kommen brauchen. Gut, am Pony könnte man sie vielleicht etwas kürzen. Aber dann passen sie wieder nicht zur gesamten Länge der Frisur!? Und wenn ich die Spitzen schneiden lasse, dann wird gleichzeitig auch von den schönen Strähnen ein Stück abgeschnitten?!"

„Ich hätte wohl doch besser nicht kommen sollen, das ist mir fast peinlich, dass ich so unschlüssig bin.“

„Aber das muss dir weiß Gott nicht peinlich sein, Kathrin. Wenn du es dir noch mal überlegen willst, das ist das wirklich kein Problem.“ beruhigte Silke ihre Kundin.

„Glaubst du nicht, dass die anderen Leute hier denken, ich hätte `ne Meise?“

„Ach was!“

„Was würdest du denn an meiner Stelle machen?“ will Kathrin vorsichtshalber wissen.

„Was ich machen würde? Ich würde drüber schlafen. Manchmal klärt sich über Nacht so ein Problem.“

Kathrin zögerte noch von ihrem Platz aufzustehen und drehte ihren Kopf intuitiv zur Seite. Die junge Frau neben ihr hatte sie schon eine ganze Weile mit halb offenem Mund angestarrt.

„Ist Ihnen so etwas auch schon mal passiert, dass sie sich beim Friseur nicht entscheiden konnten?“ fragte Kathrin die Frau und lachte etwas gequält.

„Nein, beim Friseur noch nicht, aber vor ein paar Wochen standen mein Verlobter und ich vor dem Standesamt und er fragte mich natürlich: „Susanne, willst du meine Frau werden? Ich war in dem Moment einfach blockiert, weil mir die Entscheidung so endgültig schien, so unwiderruflich, dass ich vor lauter Unsicherheit über meine weitere Zukunft sagte: „Ich kann`s nicht. Mich entscheiden. Es tut mir leid!“

„Das war alles?“

„Das war alles!“

Kathrin steckte ein Kloß im Hals. Das war mutig. Doch was half es ihr, bei ihrer Unentschlossenheit? Obwohl ihre Entscheidung nicht einmal annähernd von solch existenzieller Bedeutung war.

„Und wie seid ihr verblieben?“ fragte Kathrin nach.

„Ich hab mich von meinem Entschluss natürlich nicht abbringen lassen. Seitdem gehen wir getrennte Wege. Und mir geht es gut dabei!“

Kathrin sah zur Friseuse rüber und dachte nach. Sie blickte kurz in den Spiegel und traf ihre Entscheidung:

„Ich kann's nicht!“

„Was kannst du nicht?“ fragte die Friseuse erstaunt zurück.

„Na, mich entscheiden, an meinen Haaren etwas zu verändern!“ erwiderte Kathrin und konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen:

„Aber deswegen müssen wir uns ja nicht gleich trennen, oder?“

„Nein, wir können uns mit den Worten verabschieden: Dann ein anderes Mal!“ antwortete Silke und lachte.

„Das habe ich meinem Freund damals aber nicht versprochen!“ hörten sie die junge Frau neben sich sagen und blinzelte den Beiden zu.

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© Gudrun Kropp

Sehnsucht

Schon seit Tagen sah man ihn bewegungslos aus dem Fenster seiner Dachwohnung starren. Besuch, so munkelten Nachbarn, bekam er schon wochenlang nicht mehr. Seitdem die Frau vor einigen Jahren von ihm gegangen war, ist es einsam um ihn geworden. Sein Lebensmut schien ihn gänzlich verlassen zu haben. Nur sein Hund, mit dem er gut ein viertel Jahrhundert

seines Lebens geteilt hatte, wich keinen Augenblick von seiner Seite.

Immer seltener raffte sich der alte Mann zu einem Einkauf in der Stadt auf. Und hatte er sich doch einmal schweren Herzens zur Haustür geschleppt, um langsamen Schrittes den Fußweg entlang über die Straße zum Supermarkt zu gehen, so eilte er um so entschlossener wieder in seine Wohnung zurück und schloss sie sogleich hinter sich zu.

Entgegen seiner Gewohnheit, mit den Menschen denen er begegnete, ein Schwätzchen zu halten, zog es ihn immer seltener hinaus.

In der Wohnung saß er wie gewohnt in seinen Ohrensessel, der am Fenster stand. Ein weiterer Sessel, ihm gegenüber, blieb leer. Seine apathisch gewordenen Blicke musterten die große, alte Standuhr in der Ecke. Wie oft hatten Beide hier gesessen und am Abend auf die fortgeschrittene Zeit, die ihnen das alltägliche Zubettgeh-Ritual ankündigte, geschaut. Was bedeutete für ihn jetzt noch die Zeit? Er wusste es nicht. Nur eines wusste er, dass diese Zeit quälend langsam verlief und im Grunde ganz an Bedeutung verloren hatte. Das Gefühl für die Zeit war ihm vollkommen abhanden gekommen. Aber das war, wie vieles Andere, ohnehin gleichgültig geworden.

So waren Jahre vergangen, ohne das Irgendetwas oder Irgendjemand diesem zermürbenden Einerlei des Alltags Einhalt geboten hätte.

Der Sommer neigte sich dem Ende zu und der Alte sah durch das Fenster die ersten Blätter des Ahornbaumes im Vorgarten des Wohnblocks fallen. Er starrte oft hinaus, Stunden verbrachte er so, als suchte er Verlorenes. Seine Blicke waren im Laufe der Jahre stumpf geworden. Die Arme hingen wie Fremdkörper an ihm herunter. Er stand nur noch selten

von seinem Sessel auf. Und wenn, dann nur, um Notdürftiges zu verrichten.

Der Hund an seiner Seite fraß seit Wochen kaum noch von seinem Futter, das sein Herrchen ihm täglich in sein Fressnapf füllte. Er saß nur davor und gab seltsame Töne von sich.

Einige Wochen später, an einem kühlen Herbsttag, zog es den Alten, von einem unwiderstehlichen Gefühl aufgewühlt, in die, in allen denkbaren Farbnuancen sich präsentierende Natur, hinaus.

Schon seit Wochen, oder waren es Monate, hatte er das Haus nicht mehr verlassen. Die Erinnerungen der Vergangenheit bohrten sich wie ein nicht auszuhaltender Schmerz in seine Seele. Warum war sie so früh von ihm gegangen? Das Leben ohne sie, was gab das noch für einen Sinn?

Was ihn heute bewog, sich auf den Weg zu machen, konnte er sich nicht erklären. Der Hund schaute ihn mit leeren Augen an, als der Alte seine Wohnungstür hinter sich schloss. Schwerfällig setzte sich der Mann in Bewegung.

Er wanderte stundenlang. Sein Atem ging gleichmäßig, als er kurz stehen blieb. Wieviel Zeit war inzwischen vergangen? Die Tränen in seinen Augen machten es ihm unmöglich die Uhrzeit auf seiner, am linken Handgelenk befestigten Uhr, zu erkennen.

Feuchtigkeit lag in der Luft, als er erneut inne hielt. Das Kreischen von Wasservögeln war zu hören. Gedankenverloren stand er am Ufer des Gewässers. Eine gegenüber liegende Baumreihe von Pappeln spiegelte sich wie ein Kunstgemälde darin. Ein Sonnenstrahl, der sich noch schnell vor der einsetzenden Dämmerung durch die Wolkendecke drängte, huschte über die Wasseroberfläche.

Er war angekommen, an dem Platz, an dem er unzählige Male mit seiner Frau verweilt hatte.

Von einer merkwürdigen Unruhe gepackt, ging der Alte noch ein Stück des Weges weiter am See entlang. Der Hund folgte ihm willenlos.

Wie ein Feuer brannte in dem Alten die Sehnsucht, die ihn fast zum Wahnsinn trieb. Erinnerungen, Momente in denen er glücklich war, drängten sich ihm stärker auf, um im nächsten Augenblick in eine Fatamorgana der Gedanken, zu versinken. Immer weiter zog es ihn. Nur nicht stehen bleiben. Nur jetzt nicht. Eine unerklärliche Kraft drängte ihn weiterzugehen.

Irgendwann musste er die Orientierung im hohen Gestrüpp der Gräser verloren haben. Es war dunkel geworden. Heranziehende Nebelschleier hüllten die Landschaft wie in ein von der Natur geschaffenes Bett ein. Ein leichter Wind ließ auslaufende Wellen ans Ufer klatschen. Über dem See breitete sich eine gespenstische Stille aus. Nur das klägliche Jaulen des Hundes war in der stockfinsteren Nacht zu hören.

Der Platz am Fenster der Dachwohnung blieb am nächsten Tag leer. Nachbarn hatten die Polizei gerufen, nachdem auch am zweiten und dritten Tag der alte Mann mit dem Hund nicht

mehr gesehen wurde.

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© Gudrun Kropp

Die Begegnung

Es geschehen im Leben manchmal unvorhergesehene Dinge, die einen im wahrsten Sinne des Wortes den Atem anhalten lassen. Diese Geschichte, die ich euch gleich erzählen will, ist so unglaublich, dass ihr mich vielleicht für verrückt erklären könntet. Aber das ist mir egal. Denn ich habe wirklich etwas erlebt, das mein bisheriges Denken und Empfinden total auf den Kopf gestellt, ja revolutioniert hat.

Dieses Erlebnis, so stellte sich später heraus, sollte von höchster Bedeutung für mein weiteres Leben sein.

An diesem denkwürdigen Tag, als ich ganz unten und mit mir am Ende war, mich unendlich allein fühlte, Selbstvorwürfe über ein scheinbares Fehlverhalten mich plagten, ich am liebsten aufstecken wollte, mir nur noch zum Weinen zumute war, mich in dieser Situation der Selbstanklage nicht lieben konnte, ja meine ganze Person, sogar meine Daseinsberechtigung in Frage stellte, weil ich es nicht schaffte, so zu sein, wie ich sein wollte, in diesem Augenblick ... und hier beginnt meine Geschichte:

...kommst du auf mich zu... und ich frage mich, wer du bist? Wer ist die Gestalt, die ich so greifbar vor mir sehe, die sich mit leichten, beinahe federnden Schritten mir nähert?

Überrascht und gleichzeitig wie angewurzelt, starre ich in eine von Licht erfüllte Atmosphäre. Dieses sonderbare Licht, das die Form eines Kegels annahm, erhellte meinen Platz, einen Sessel, auf dem ich in meinem Kummer Zuflucht genommen hatte.

Die Umrisse einer fremdartigen Gestalt werden immer deutlicher sichtbar. Mit dem Gefühl in eine andere Dimension versetzt zu sein, wende ich mich direkt an diese ungewöhnliche Erscheinung:

"Bist du ein Engel?" frage ich erstaunt. "Oder bist du nur eine Fiktion?" Du lächelst mich an und setzt dich zu mir, direkt neben mich und legst deine Arme um meine Schultern.

Das Gefühl, auf einmal nicht mehr allein zu sein, durchströmt mich. Ich spüre deine Nähe, so ganz real und dann sprichst du zu mir, zärtlich und leise, so, als würdest du mich schon lange kennen, ja, mir vertraut sein:

"Weißt du, ich kann dich verstehen,“ höre ich diese Stimme deutlich sagen „gerade jetzt, wo du dich selbst nicht verstehen kannst. Ich fühle den Grund deiner Traurigkeit und weiß genau, was du dir nicht verzeihen kannst.

Doch es ist nur die eine Seite der berühmten Medaille, die du beleuchtest. Diese Blickrichtung beansprucht deine ganze Aufmerksamkeit. Denke daran: Jedes Ding hat zwei Seiten. Warum siehst du nur die eine, die dunkle Seite und konzentrierst dich auf dein angebliches Fehlverhalten und fragst nicht nach den positiven Auswirkungen, die diese Erfahrung mit sich bringt?

Wir können aus jeder Situation etwas lernen. Und selbst wenn du dich nicht angemessen verhalten hast, darfst du wissen, dass wir alle, du und ich in unserem Leben auch Fehler machen dürfen. Wir brauchen nicht perfekt zu sein und uns ständig an einer Norm messen. Wenn du glaubst, alles richtig machen zu müssen, setzt du dich eindeutig einer Fremdbestimmung aus. Sind es nicht gerade unsere Schwächen, die uns sympathisch, ja menschlich machen?“

Wie gebannt lausche ich weiter den wohltuenden Worten.

„Was ist überhaupt richtig, was ist falsch?“ fährt die Stimme fragend neben mir weiter fort.

„Diese Einteilung ist ein vereinfachtes Schwarz- Weiß- Denken. Du allein bestimmst, was für dich richtig oder falsch ist. Was du dir als angeblichen Fehler nicht verzeihen kannst, rührt von einem unkritisch übernommenen, dich- selbst- in Frage stellenden Denkmuster her, das sich nach Heilung sehnt. Unser Leben mit all seinen Facetten, ist und bleibt doch menschlich und für dein Menschsein brauchst du dich nicht zu entschuldigen, wir sind noch nicht vollkommen.“

… höre ich die Stimme weiterhin geduldig und verständnisvoll mit mir reden.

"Du gehst zu hart und unerbittlich mit dir um. Du brauchst dir nichts vorzuwerfen!

Sag` mir, was hat in der Vergangenheit zu deiner Selbstunsicherheit geführt und wer hat seine Autorität dir gegenüber ausgespielt? Wem hast du dich schon als Kind machtlos ausgeliefert gefühlt und von wem wurdest du so oft kritisiert und in Frage gestellt?"

Ich war bis ins Innerste meines Wesens getroffen und bevor ich auch nur nach einer Antwort suchen, geschweige denn eine Antwort formulieren konnte, fuhr die seltsame Gestalt neben mir weiter fort, Wahrheiten aus meinem Leben direkt anzusprechen.

"Anerkennung deiner selbst, etwas richtig gemacht zu haben, hast du selten erlebt, stimmt` s? Du bist in deinem Gefühl mehr verunsichert, als bestätigt worden. Selten konntest du als Kind und Heranwachsende einmal einer Sache wirklich sicher sein, weil dich niemand in deinem Empfinden ernst genommen hat. Das führte dazu, dass du dich in deiner Wahrnehmung unsicher fühltest. Das sich- Ent-schuldigen- müssen, ist in deinem Leben ja geradezu vorprogrammiert!"

Die Stimme neben mir wird unendlich sanft.

"Nimm dich an und verurteile dich nicht. Du bist zurzeit auch stark gefordert und musst so Vieles miteinander in Einklang bringen, das alles zerrt an deinen Nerven, du bist angespannt. Darum sei barmherzig zu dir!"

Ich zucke zusammen.

Wer spricht da mit mir?

Diese Gestalt, die ich so hautnah erlebe und wahrnehme und die so liebevoll mit mir spricht, scheint nicht von dieser Welt zu sein. Habe ich sie in meinen Gedanken herbei geholt?

Wie kommt diese Begegnung zustande?

Es tut mir ohne Zweifel unendlich gut, dass jemand so mit mir spricht. Nicht anklagend, ohne Vorwürfe gegen mich zu erheben, ja, liebevoll- tröstend, mit dem klar erkennbaren Hintergrund und der Absicht, mich selbst verstehen zu lernen. Das muss doch ein himmlisches Wesen sein, das mir so übermenschlich, überwältigend begegnet.

Ich kann es nicht fassen?

Was ist mit mir geschehen?

Bevor mir die ungewöhnliche Situation, in der ich mich befinde, so richtig bewusst wird, spricht diese Stimme ruhig und einfühlsam weiter mit mir.

"Darf ich dir ein schönes Gedicht vorlesen?"

"Allein für mich?"... frage ich ganz überrascht zurück.

"Ja, allein nur für dich... darf ich?"

...ist die Antwort und Gegenfrage in einem.

Ich nicke und bin den Tränen nahe. Tief in meinem Inneren spüre ich: Es ist genau diese Form der Zuwendung, die ich in dieser Situation brauche, denn so Vieles ist in Unordnung geraten, heillos geworden ... zerrissen.

"Weißt du“, fährt die Gestalt weiter fort, „dieses Gedicht ist mit den Worten überschrieben: Ruhig ein bisschen selbstverliebt sein. Ich glaube, du brauchst gerade dieses Gedicht, in diesem Augenblick, es passt irgendwie zu dir!"

Entspannt und eigenartig erleichtert, lasse ich mich in diese ungewöhnliche Situation fallen und höre wieder diese sanfte Stimme:

„ruhig ein bisschen selbstverliebt sein

„ruhig ein bisschen selbstverliebt sein
sich in den Strahlen der Sonne im Kreise drehn
sich liebevoll durch die Haare streifen
gerade und aufrecht gehen
und bewusst die Schritte setzen
vor Freude spontan in die Höhe hüpfen
mir selbst ein Lächeln schenken

in den Spiegel schauen
mein Gesicht mit allen einmaligen,
originellen Zügen positiv wahrnehmen
die mich umgebenden Menschen
in meiner Fantasie mir gut gesinnt 
erscheinen lassen
mir eine besondere, herausragende Eigenschaft
bewusst machen

und zuletzt einen Menschen an meinem Glück
das ich spüre, teilnehmen lassen
oder mit einem Geschenk jemanden
unvorbereitet überraschen
das lässt die Freude im Herzen
Purzelbaum schlagen

das Alles und noch viel mehr, sage ich mir
weil ich in mich selbst verliebt bin.“

Lange sitze ich noch da und denke über das Gedicht und dieses Erlebnis mit diesem sonderbaren Wesen nach. Habe ich mir alles nur in meiner Fantasie ausgemalt?

Wie ist dieses Gespräch zustande gekommen?

Nach einer gewissen Zeit wird mir klar:

Diese geheimnisvolle Gestalt, dieser Fremde, der mir entgegen kam, mit mir verständnisvoll sprach, das Gedicht vorlas, bin ich selbst. In dieser Person, dieser Stimme, bin ich meinem eigenen Selbst begegnet, meinem Gewissen, dem Herzstück des Bewusstseins.

Die Auseinandersetzung mit meinem eigenen ICH hatte unverkennbar heilenden Einfluss auf meine Seele. Wie ein Geistesblitz durchfuhr es mich: Dieses Du, dieses Gegenüber, gibt sich mir so, wie ich gerne mit mir umgehen möchte. Plötzlich erkenne ich, dass ich auf dem Weg der Bewusstwerdung und der Frage: Wer bin ICH ? ... schon ein ganzes Stück vorangekommen bin. Ja, dieses Erlebnis, wurde mir klar, war praktizierte Selbstliebe.

Selbstliebe in Aktion und im wahrsten Sinne zum Anfassen. In mir schlummerte schon seit langem der Wunsch, mich selbst mit allen Unvollkommenheiten lieben zu können und das eigene Sein nicht mehr in unangebrachter Weise in Frage zu stellen.

Mir war bewusst, dass noch ein langer Weg des Lernens vor mir liegen würde, aber gab es etwas Wichtigeres im Leben, als seinem eigenen Selbst auf die Spur zu kommen?

Durch diese Begegnung mit meinem Über- Ich sozusagen, aber doch ganz zu mir gehörend, wurde mir deutlich, dass meine Bemühungen, mein positives, konstruktives Denken über mich selbst, schon Früchte getragen hatte.

Also …, leitete ich aus diesen Erkenntnissen weitere Gedanken ab, ist es möglich, durch liebevolles mich- selbst- verstehen- lernen, innerlich stark und wahrhaft liebesfähig zu werden. Ja, durch diesen Prozess des neuen Denkens, ein geheiltes Bewusstsein zu bekommen, das in seiner Persönlichkeit, seinem Kern, Vertrauen zu sich selbst entwickeln und aufbauen kann.

Genau, das ist es, wonach ich mich in meinen Träumen schon immer gesehnt hatte.

Diese Begegnung mit meinem Selbst, wird mich ein Leben lang begleiten.

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© Gudrun Kropp

Welten, die dazwischen liegen

Ein nervlicher Zusammenbruch zwang Kathrin zu diesem Klinikaufenthalt. Während sie über den großen Korridor des Krankenhauses schlenderte, grübelte sie darüber nach, wie es überhaupt zu diesem Zwischenfall kommen konnte. Diese Gefühlskälte zwischen ihrem Mann und ihr, hatte sich schon länger angebahnt. Doch als Gregor dann plötzlich mit seiner Neuen vor der Tür stand, dass packte sie nicht. Was dachte er sich dabei, sie und ihre gemeinsamen drei Kinder so bloß zu stellen? War es Rache, die ihn zu diesem Verhalten anstachelte? Wollte er sie endgültig vernichten? Ihr Selbst hatte sowie so in den letzten Monaten gelitten. Und nun so was.

Vielleicht würde sie hier in der Klinik etwas zur Ruhe kommen und Abstand vom Alltag gewinnen. Kathrin versuchte sich abzulenken, aber immer und immer wieder schossen ihr die Bilder der neuen Frau in den Kopf. Sie sah sie vor sich. Ihr ebenmäßiges, apartes Gesicht machte sie sehr attraktiv. Doch von ihrer Figur her, konnte Kathrin gut mithalten. Und vom Alter her schätzte sie die Neue eher einige Jahre älter ein. Vielleicht täuschte sie sich auch.

Kathrin warf fünfzig Cent in einen Kaffeautomaten, der etwas abseits vom Korridor aufgestellt war und wartete darauf, dass der Apparat ihr Getränk ausspucken würde. Ein klingelndes Geräusch meldete den abgeschlossenen Vorgang.

Mit zitternden Händen nahm sie den Pappbecher und stellte ihn auf den wenige Meter entfernten Tisch der angrenzenden Sitzgruppe und setzte sich auf einen der gemütlichen Sesseln. Ihr gegenüber saß eine schwarz gekleidete Frau in einem Buch vertieft. Schnell warf Kathrin unauffällig einen Blick auf den Buchtitel: DIE TOCHTER DES TEUFELS las sie die Buchstaben ziemlich deutlich.

Bücher hatten es ihr schon immer angetan. Die Frau blickte nur kurz auf, um sich im nächsten Augenblick wieder genussvoll der Lektüre hinzugeben.

Kathrin versuchte einen Blick in das Gesicht der Frau zu erhaschen. Doch ihr stark herunter gebeugter Kopf machte dieses Vorhaben gänzlich unmöglich. Sie trank den letzten Schluck aus ihrem Kaffebecher und warf ihn in den bereit stehenden Abfalleimer.

Sollte sie sich der Frau nähern, oder es lieber unterlassen? Kathrin überlegte, drehte sich aber kurz entschlossen um und steuerte wieder dem breiten Korridor zu. Sie musste sich ausruhen.

Doch die Frau tippte Kathrin plötzlich an der Schulter und fragte sie: „Wie lange sind Sie schon hier?“

Über das unerwartete Verhalten der Frau irritiert, stotterte Kathrin: „Ähm, ähm, ich bin gestern gekommen. Fragen Sie mich aber nicht genau nach dem Zeitpunkt, den weiß ich nämlich nicht. Ich war bewusstlos, als ich eingeliefert wurde. Totaler Kreislauf- und Nervenzusammenbruch, wissen Sie! Es ist eine dumme Geschichte, die ich gerne aus meinem Leben streichen würde! Ich weiß nicht, wie es überhaupt so weit kommen konnte.“ floss es nur noch aus ihr heraus. So, als hätte jemand eine Schleuse geöffnet, aus der ihre Worte wie ein aufgestauter Wasserfall stürzten und sich in einem Bach ergossen.

„Sie sind die Erste, die mich hier anspricht. Man ist doch hier mehr oder weniger mit sich allein hier!“

„Ja, da haben Sie recht, jeder ist mit sich selbst beschäftigt, wie im wirklichen Leben!“ antwortete die Frau mit einem merkwürdigen Tonfall in der Stimme. Um ihre Lippen herum, glaubte Kathrin eine unkontrollierte Zuckung zu entdecken. Die Augen waren dunkel geschminkt und ungewöhnlich weit aufgerissen. Der Lidstrich zog sich weit über das Auge hinweg bis zum Haaransatz und endete mit einem ausgedehnten Schnörkel. Eine seltsame, beinahe unheimliche Ausstrahlung ging von ihr aus.

Sie gingen eine Weile gemeinsam den langen Korridor entlang. Kurz vor ihrem Zimmer verlor sie die Frau aus den Augen.

War sie das, was sie in ihrem Buch las: Eine Tochter des Teufels? schoss es Kathrin durch den Kopf. Ein beklemmendes Gefühl überkam sie. Wer war diese Frau und warum las sie in so einem Buch?

Die erste Nacht im Krankenhaus verlief für Kathrin ohne besondere Vorkommnisse, außer dass sie von dieser seltsamen Frau mit dem intensiven, dunklen Gesichtsausdruck geträumt hatte. Kathrin ahnte, dass sie ihr noch einmal begegnen würde.

Nach dem Frühstück und der Arztvisite ging sie auf den Kiosk zu, der von ihrem Zimmer aus, in nur wenigen Minuten, zu erreichen war und besorgte sich eine Zeitung.

Als Kathrin sich wieder auf den Weg in ihr Zimmer machte, hörte sie plötzlich Schritte hinter sich. Sie drehte sich um, hoffte insgeheim ihr Mann wäre es und erkannte die Frau, die sie gestern kennen gelernt hatte. Wenn ich doch nur jemanden zum Reden hätte, die Zeitung ist sowieso nur was zur Zerstreuung.

Die Frau schien Kathrins Gedanken zu erraten und entgegnete ihr: „Gehen wir doch in die Cafeteria, sie ist nicht weit von hier entfernt, gleich im Eingangsbereich des Krankenhauses. Dort können wir uns in Ruhe unterhalten!?“

Zögernd nahm Kathrin den Vorschlag an. Sie hatten sich kaum auf ihren Stühlen niedergelassen, begann die Frau ein Gespräch.

„Sie sind sehr unglücklich nicht wahr? Ich sah gestern Abend vor dem Schlafen gehen ihre Situation vor meinem geistigen Auge vorbeiziehen. Sie wollen, denke ich mal, gerne mit ihrem Mann zusammen bleiben, stimmts?“

„Ja, woher wissen Sie das? Sind Sie etwa hellseherisch? “

„Sicher, das ist eine Fähigkeit, die mir schon als Kind bewusst geworden ist und die ich immer weiter entwickelt habe.“ antwortete die Frau.

„Ich weiß, was in Ihrem Leben passiert ist. Sie brauchen mir die Einzelheiten nicht mehr erklären.“

„Dieses Buch... “unterbricht sie Kathrin, „dieses Buch dass Sie lesen und Ihr Aussehen, um ehrlich zu sein, verunsichert mich sehr und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Gehören Sie einem Satanskult an? Zelebrieren Sie Messen? Ich habe schon viel in dieser Richtung gehört, was da alles so läuft. Auch im Fernsehen sieht man ja einiges. Darum bin ich eher skeptisch.“

Die Frau hörte aufmerksam zu und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Sie wirkte geistesabwesend, als sie sie wieder öffnete und weiter sprach:

„Als ich noch sehr klein war, vielleicht drei Jahre alt, nahm ich an spiritistischen Sitzungen teil. Meine Mutter gehörte einem Zirkel an und schleppte mich und meine ältere Schwester häufig zu diesen regelmäßigen Treffen mit. Das wurde für uns beide zur Gewohnheit.

Wir saßen an einem runden Tisch und fassten uns an den Händen. Einer der Teilnehmer sprach mehrmals hintereinander einen Satz, der die Geister beschwören sollte. Daraufhin passierten merkwürdige Dinge. Zum Beispiel, bewegten sich Schränke und durch die geschlossenen Türen traten die Tassen heraus, die vorher noch ordentlich einsortiert waren. Sie begannen vor unseren Augen zu schweben. Oder es öffneten sich Fenster wie von Geisterhand und wir hörten Stimmen, die durch Nebelschleier zu uns sprachen und im nächsten Augenblick auf dem gleichen Wege auch wieder verschwanden.

Diese Erscheinungen waren von einem leichten Windhauch begleitet und eine geistige Kraft war im ganzen Raum zu spüren. Wir nahmen abwechselnd intensiven Kontakt mit den Geistern auf und stellten ihnen Fragen und sie antworteten uns auch.

Es klingt für Sie vielleicht unglaublich, was ich Ihnen erzähle, doch wenn ich es nicht selber erlebt hätte, wäre ich nicht so überzeugt, dass es reale Geister gibt.“

„Das klingt überzeugend, aber ich habe wirklich andere Sorgen, glauben Sie mir! Meine Ehe ist kaputt, da helfen mir keine frei schwebenden Tassen oder ein säuselnder Wind. Verstehen Sie? Was ich brauche ist ein Engel, der mir zeigt, was im Moment dran ist bei mir, wie ich mich entscheiden soll. Mein Mann hat eine andere, aber wir können auch auf mein Zimmer gehen, da ist es vielleicht etwas gemütlicher.“

Einige Patienten an den Nebentischen blickten die beiden Frauen schon abschätzend an.

„Haben Sie Lust?“ fragte Kathrin die Frau unverblümt.

„Klar!“

Einige Minuten später saßen beide in Kathrins Zimmer. Die Frau sah sich in dem Raum um und entdeckte auf dem Nachtisch ein Buch mit dem Titel:

„ENGEL, GOTTES GEHEIMAGENTEN“

Seltsam, dachte die Frau, nun ist mir einiges klar. Sie erhofft sich in ihrer Situation Hilfe durch einen Engel. Zumindest beschäftigt sie sich, ebenso wie ich, mit Geistwesen. Kathrin hatte bemerkt, dass der Blick der Frau auf das Buch fiel und sagte beinahe verlegen: „Welten, die dazwischen liegen, könnte man meinen, hm!?“

„Oder auch nicht, sonst wären wir uns hier sicher nicht begegnet. Dieses muss wohl ein und dieselbe Welt sein, in der wir leben!“ antwortete die Frau.

„Übrigens, ich bin Maria!“ stellte sie sich gleich persönlich vor.

„Und ich bin die Kathrin! Ach ja, mein Mann hat immer noch nichts von sich hören lassen!

Aber sicher ruft er mich morgen, oder übermorgen, oder ...!“

„Oder überhaupt nicht an!“ beendete Maria Kathrins hoffnungsvolles Bemühen, um ihre zerrüttete Ehe.

Noch lange, bis spät in die Nacht hinein redete sich Kathrin alles von der Seele. Sie erzählte Maria auch von ihren Visionen, die sie von Zeit zu Zeit erlebte und von Erfahrungen mit Engeln in ihrem Leben.

Plötzlich hellte sich das Gesicht von Maria auf und sie fragte Kathrin: „Glaubst du wirklich an Engel?“

„Ja natürlich. Ich glaube viel mehr an die unsichtbare als an die sichtbare Welt. Engel sind für mich dienstbare Geister, die Menschen in besonderen Notlagen zu Hilfe kommen.“

Kathrin machte eine kurze Atempause.

„Weißt du eigentlich, dass ich das Gefühl habe, dich aus meinem früheren Leben schon zu kennen? Vielleicht sind wir eine Art Seelenverwandte. Das gibt es nämlich!“

Maria sah Kathrin ernst an und holte tief Luft.

„Und wenn du mich fragst, was deine Ehe angeht, lass ihn los. Er ist es nicht wert, dass du ihm hinterher läufst. Er hat sich doch schon entschieden, mit dieser anderen Frau. Sieh den Dingen doch einmal ins Gesicht. Er demütigt dich und du zeigst immer noch Verständnis für ihn. Du wartest, dass er anruft. Aber er wird es nicht tun. Kathrin, wach endlich auf!“ ein energischer Tonfall lag in Marias Stimme.

„Die Kinder, aber was wird aus den Kindern. Wer wird ihnen … sie brauchen doch einen Va …?“

Plötzlich hielt Kathrin inne. In diesem Augenblick wusste sie, wer dieser Engel war, der ihr geschickt wurde.


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